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„Eine Geburt soll nicht nur sicher, sondern auch schön sein“

Geburtsbuch Interview

„Es ist ein Recht und Privileg der Mutter, zu wählen, wie sie ihr Kind bekommen möchte“, sagt Nora Imlau. Die Journalistin und Autorin hat gerade ihr neues Buch veröffentlicht: Das Geburtsbuch. Wir haben mit ihr über die Bedeutung einer schönen Geburt, die Rolle der Hebammen und Väter und die Zukunft der Geburtshilfe gesprochen.

Nora Imlau

Nora Imlau (Foto: Angelika Zinzow)

Was hat dich motiviert, für dein nächstes Buch das Thema Geburt zu wählen?

Es gibt ja unglaublich viel Literatur für werdende und junge Eltern, aber zwischen den großen Themen Schwangerschaft und Erstes Jahr mit Baby gerät die Geburt in vielen Ratgebern zu einer Nebensache, die nur kurz abgehandelt wird. Die wenigen Bücher, die sich ganz auf die Geburt konzentrieren, sind meist Plädoyers für eine ganz bestimmte Art zu gebären – zum Beispiel HypnoBirthing oder Die selbstbestimmte Geburt.

Mit meinem Geburtsbuch möchte ich aber keine Werbung für eine Geburtsart machen, sondern die verschiedenen Möglichkeiten beschreiben und Vor- und Nachteile aufzeigen. Damit Frauen sich ausführlich informieren und selbstbewusst entscheiden können, denn es ist eben nicht egal, wie wir gebären – es hat große Nachwirkungen auf die Zeit nach der Geburt und das weitere Leben. Und ich finde es erschreckend, dass etwa jede zweite Frau ihre Geburt als ein negatives oder enttäuschendes Erlebnis in Erinnerung behält.

Ist denn die Geburt noch die natürlichste Sache der Welt, wenn wir heute hunderte Seiten starke Ratgeber brauchen, um sie zu verstehen?

Ich finde, es kommt teilweise einer Ideologie gleich, wenn immer wieder die Natur und die Evolution herhalten müssen als Argumente, weshalb das ganze moderne Wissen und die Technik überflüssig seien und man eigentlich nur den Körper machen lassen müsse. „Frauen bekommen schließlich schon seit Jahrtausenden ihre Kinder auf natürlichem Weg“, heißt es dann gerne.

Aber will man das einzelne Schicksal von Mutter und Kind wirklich in die Hände der Evolution legen? Denn es ist eben so, dass die menschliche Geburt risikoreicher ist als die anderer Säugetiere. Das ist der Preis, den wir für unsere Entwicklung, den großen Kopf und den aufrechten Gang zahlen müssen. Und die Evolution kann eben auch gut damit leben, wenn jede zehnte Geburt schiefgeht und Mutter oder Baby nicht überleben. Als Gesellschaft wollen wir damit aber natürlich nicht leben!

Deshalb sollten wir der Natur zwar nicht „ins Handwerk pfuschen“, aber doch eingreifen mit den modernen Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen, wenn es nötig ist. Durch diesen Balanceakt sind in den vergangenen Jahrzehnten viele verschiedene Wege des Gebärens entstanden – und bei einem so komplexen Thema finde ich es absolut angemessen, sich in der Schwangerschaft in Ruhe zu informieren, zum Beispiel in einem Ratgeber.

Diese Informationen suchen sich werdende und junge Eltern mittlerweile vor allem online. Glaubst du, das klassische Buch verliert hier an Bedeutung?

Ich finde es toll, dass im Internet durch Elternblogs, Foren und Facebook-Gruppen ein völlig neuer und reger Austausch zwischen Eltern möglich wird. So bekommen Familien online mehr Sichtbarkeit, werden mit ihren Themen und Problemen wahrgenommen, bleiben relevant. Der Nachteil ist aber, dass es keine höhere Instanz gibt, keinen Filter für Richtigkeit und Qualität. So ist viel Platz für Ideologien, persönliche Überzeugungen und Halbwahrheiten. Deshalb finde ich es wichtig, dass es weiterhin auch Ratgeber gibt, denen man vertrauen kann, weil dahinter mehrere Leute stehen, Experten fachliches Feedback gegeben haben, die Texte gegengelesen wurden und so weiter.

„Es ist ein Recht und Privileg der Mutter, zu wählen, wie sie ihr Kind bekommen möchte“

Im neuen Buch stellst du die vielen Geburtsvarianten – von der natürlichen Hausgeburt bis zum geplanten Kaiserschnitt im Klinik-OP – gegenüber und schilderst ausführlich Vorteile, Ablauf etc. Eine Wertung nimmst du aber nur sehr vorsichtig vor: Gibt es für jede Geburtsart nachvollziehbare Beweggründe?

Ich finde, es ist ein Recht und Privileg der Mutter, zu wählen, wie sie ihr Kind bekommen möchte. Vor allem ist es eine sehr persönliche Entscheidung und ein emotionales Thema, weshalb man dabei auch nur schwer neutral bleiben kann. Gleich im Vorwort erzähle ich deshalb auch von meinen eigenen Geburten. Ich finde jedoch: Eine gute Geburt ist eine Geburt, die der jeweiligen Frau und ihrem Baby guttut. Und das ist eben individuell.

Ein Beispiel: Das Thema Wunschkaiserschnitt erhitzt regelmäßig die Gemüter. In meinen Recherchen habe ich jedoch festgestellt, dass viele Frauen sich für so eine Geburt entscheiden, weil sie in der Vergangenheit Opfer von Gewalt oder Missbrauch geworden sind und große Angst vor einer Situation haben, in der sie die Kontrolle verlieren und sich ausgeliefert fühlen könnten. Und da stellen wir uns hin und urteilen über diese Frauen, ohne ihre Beweggründe zu kennen, geschweige denn zu verstehen?

Du sagst, jede zweite Frau erlebe nicht die gewünschte schöne Geburt. Viele Mütter schildern die Entbindung im Nachhinein als schlimmes, teilweise gewaltvolles Erlebnis. Was kann man tun, um der Wunschvorstellung möglichst nah zu kommen?

Der wichtigste Schlüssel ist für mich eine gute Eins-zu-Eins-Betreuung durch eine vertrauensvolle, fachlich kompetente Person – das kann eine Hebamme sein, ein Arzt oder auch eine Doula. Denn auch wenn aus medizinischer Sicht „das Finale“ der Geburt am interessantesten ist: Für die Frauen sind bereits die vielen Stunden davor bis der Muttermund sich ausreichend geöffnet hat extrem anstrengend und manchmal auch nervenzehrend.

Wenn hier eine empathische und geduldige Begleitung fehlt, kommt es oft zu einem Punkt, an dem irgendwie medizinisch in die Geburt eingegriffen wird – z.B. durch einen Wehentropf oder Schmerzmittel. Damit beginnt leider häufig eine Spirale weiterer Maßnahmen. Und dann ist der Traum von einer selbstbestimmten und natürlichen Geburt schnell dahin.

„Ich würde mich freuen, wenn mehr Männer sich im Vorfeld ausführlich mit der Geburt beschäftigen würden“

Welche Rolle spielt hierbei der Partner, der heute ja meist bei der Geburt dabei ist?

Neuerscheinung: Das Geburtsbuch von Nora Imlau

Neuerscheinung: Das Geburtsbuch von Nora Imlau

Was kann er tun, um seiner Partnerin zu helfen?

Über 90 Prozent aller Mütter sagen, dass es für sie sehr wichtig war, ihren Mann bei der Geburt dabei zu haben. Zugleich sagen viele Ärzte und Hebammen, dass Männer durch ihre Unsicherheit und Überforderung den Verlauf der Geburt auch schon mal eher stören. Ich denke, das ist eine Typsache. Ziel muss eine emotionale Geburtsbegleitung sein, die aber die Balance zwischen Mitleiden und einer gewissen Distanz schafft. Denn nur wenn der Partner selbst nicht die Nerven verliert, kann er seiner Partnerin die Kraft und Zuversicht geben die sie jetzt braucht.

Ich würde mich freuen, wenn mehr Männer sich im Vorfeld ausführlich mit der Geburt beschäftigen würden, sich genau wie die Frauen einlesen und vielleicht neben dem Vorbereitungskurs auch noch eine individuelle Vorbereitung mit der Hebamme machen würden.

Wie wichtig findest du denn die Suche nach der passenden Hebamme?

Viele Frauen sagen, dass sie enorm von der Vor- und Nachsorge durch ihre Hebamme profitiert haben. Eine gute Hebamme baut Vertrauen auf, informiert und klärt auf, begleitet bei Fragen und Problemen und kann so zu einem ganz wichtigen Faktor auf dem Weg zu einer schönen Geburt sein. Wer sich sicher sein will, auch bei der Geburt selbst eine solche Vertrauensperson dabei zu haben, kann zuhause oder im Geburtshaus entbinden oder eine Beleghebamme mit in die Klinik bringen.

Natürlich sind nicht alle Hebammen gleich gut. Es muss einfach passen! Deshalb rate ich jeder Frau, sich schon früh in der Schwangerschaft auf die Suche nach einer Hebamme zu machen und diese sorgfältig auszuwählen.

Eine Geburtshilfe, die Frauen nicht entmündigt und nicht allein lässt

Hebammen kämpfen zunehmend um die Zukunft ihres Berufsstands und die Vielfältigkeit der Entbindungsmöglichkeiten. Du schließt dein Buch mit einem kurzen Kapitel zu diesem Thema. Was ist deine Sorge?

So wichtig die eben geschilderte Eins-zu-Eins-Betreuung während der Geburt ist – sie ist leider keine Selbstverständlichkeit mehr in unseren Kliniken, wo heute über 95 Prozent der Kinder geboren werden. Eine Hebamme ist hier oft für drei und mehr Geburten gleichzeitig verantwortlich und kontrolliert in einem separaten Raum über Monitore sämtliche Werte und Daten. Es ist schön, dass unsere Geburten heute so sicher sind wie nie zuvor – aber die Möglichkeiten der modernen Medizintechnik sollten nie auf Kosten der Selbstbestimmtheit und Wahlfreiheit der Frauen eingesetzt werden.

Wenn die Geburt eine Frau stärken und nicht enttäuschen und verletzen soll, dann muss sie nicht nur sicher, sondern auch schön sein. Das geht nur mit einer Geburtshilfe, die Frauen nicht entmündigt und nicht allein lässt!

Kaum ist die Geburt geschafft, warten auf die junge Familie neue Herausforderungen – ganz oben auf der Liste: der Schlaf. Wenige Probleme dürften Eltern so umtreiben wie Babys und Kleinkinder, die nicht schlafen – oder zumindest nicht dann, wenn sie „sollen“. Zusammen mit Herbert Renz-Polster hast du kürzlich das Buch „Schlaf gut, Baby!“ veröffentlicht. Wenn du nur zwei bis drei Sätze hättest, verzweifelten Eltern Mut zu machen, um die Schlafprobleme zu meistern, was würdest du ihnen mit auf den Weg geben?

Menschenkinder sind evolutionär darauf gepolt, ganz nah an Mama oder Papa gekuschelt einzuschlafen und auch nachts Körperkontakt zu suchen. Dieses angeborene Grundbedürfnis nach Geborgenheit zu erfüllen ist kein Erziehungsfehler, sondern der einfachste Weg zu mehr Schlaf für die ganze Familie.

 

Hier findest du das Geburtsbuch von Nora Imlau in unserem Shop.

Das Interview führte Alexander Plitsch.