Endlich schwanger, geht es gleich zur Schwangerenvorsorge beim Frauenarzt. Doch wer profitiert eigentlich vom überwachten Bauch? Und warum haben ausgerechnet die Hebammen, ausgebildete Spezialistinnen für Schwangerschaft und Geburt, so wenig Einfluss und Mitspracherecht? Ein Gastbeitrag von Doris Moser
Für manche Frauen kommt die Schwangerschaft überraschend, andere haben schon lange auf den positiven Schwangerschaftstest gewartet. Für die einen Frauen geht endlich ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung, für andere kommt das positive Testergebnis weniger gelegen. Was sie aber alle eint, ist der Gang in die Arztpraxis, der zwangsläufig nach dem positiven Schwangerschaftstest ansteht. Heute ähnelt eine Schwangerschaft einem Marathon von Arztpraxis zu Arztpraxis. In der Schwangerenvorsorge wird gewogen und vermessen, geschallt und verglichen, gezählt und berechnet, kontrolliert und überwacht.
Die meisten Menschen stellen das auch nicht in Frage. Zu sehr sind wir daran gewöhnt, dass ein Arzt oder eine Ärztin uns durch die Schwangerschaft lotst, uns von Termin zu Termin durch diese aufregende Zeit begleitet. Wir sind mittlerweile überwiegend der Meinung, dass eine Schwangerschaft ärztlich überwacht und kontrolliert werden muss. Dient ja alles der Sicherheit.
Schließlich will jede Frau ein gesundes Kind, möchte jede Frau das Beste für ihr Ungeborenes. Und das wird wohl der regelmäßige Gang in die Arztpraxis zur Schwangerenvorsorge sein. Und so geht beinahe jeder Schwangere brav zum Arzt, um sich einen Stempel in ihren Mutterpass (Deutschland) oder Mutter-Kind-Pass (Österreich) zu holen, der den Verlauf der Schwangerschaft bestätigt. Auch wenn ihr eigentlich nichts fehlt, sie überhaupt nicht krank ist. Schließlich machen das doch alle so.
Ein großzügiges Geschenk der Gesellschaft an die schwangere Frau
Doch wie kann es sein, dass eine gesunde Schwangere derart entmündigt wird? Es wird ihr nicht zugetraut, ihren Gesundheitszustand selbstverantwortlich im Auge behalten zu können, was beispielsweise für Diabetiker selbstverständlich ist. Für die einfachsten Tätigkeiten wie etwa das Wiegen, Blutdruckmessen oder um den Teststreifen in den Urin zu tauchen, wird die schwangere Frau in die Arztpraxis beordert, um sich von einem Profi dabei helfen zu lassen.
Der Grundgedanke hinter der Implementierung des Mutter-Kind-Passes bzw. des Mutterpasses mag Fürsorglichkeit sein. Allen werdenden Müttern und ihren Kindern soll beste medizinische Versorgung kostenlos zur Verfügung stehen, um deren Gesundheit angemessen zu fördern. Im Grunde genommen handelt es sich bei diesen Leistungen also um ein großzügiges Geschenk der Gesellschaft an die schwangere Frau.
Seltsam mutet die Sache allerdings dann an, wenn die schwangeren Frauen – wie es in Österreich der Fall ist – durch den Entzug von Geldleistungen zur Durchführung der vorgeschriebenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen genötigt und gedrängt werden. Kann die Frau eine oder mehrere der vorgeschriebenen Untersuchungen im Rahmen der Schwangerenvorsorge nicht mit einem Arztstempel belegen, wird ein Teil des ihr zustehenden Kinderbetreuungsgeldes gestrichen.
In Deutschland hat die Frau zwar mehr Freiheiten und kann sich auch für die Schwangerenvorsorge durch eine Hebamme entscheiden (was in Österreich nicht möglich ist) oder aber auch auf sämtliche Untersuchungen verzichten, ohne finanzielle Einbußen in Kauf nehmen zu müssen. Der gesellschaftliche, ärztliche und – ab der Geburt des Kindes – auch staatliche Druck ist aber ähnlich hoch wie in Österreich.
Gibt es Alternativen zur üblichen Schwangerenvorsorge?
Neben der zu kritisierenden Entmündigung der schwangeren Frauen und dem staatlichen Druck, der in unterschiedlicher Weise ausgeübt wird, stellt sich die Frage, wie sinnvoll die Maßnahmen der ärztlichen Schwangerenvorsorge eigentlich sind. Sind es tatsächlich die Vorsorgeuntersuchungen, die zu einem Rückgang der Mütter- und Säuglingssterblichkeit geführt haben oder haben andere Faktoren wie verbesserte Hygiene- und Arbeitsbedingungen und die Steigerung des allgemeinen Wohlstandes (also sozioökonomische Faktoren) diesen Rückgang (mit-)bewirkt?
Hinzu kommt, dass es im Ländervergleich keine einheitlichen Vorschriften oder Richtlinien gibt, an denen sich die Maßnahmen der ärztlichen Schwangerenvorsorge orientieren. So gibt es beispielsweise in den nordeuropäischen Ländern große Freiheiten, in Österreich starke staatliche Kontrolle und Zwang. Auch der Umfang der einzelnen Untersuchungen variiert stark und es gibt nicht immer einheitliche Grenzwerte und Normen.
Doch gibt es auch Alternativen zum gängigen System der ärztlichen Schwangerenvorsorge? Es hat sich gezeigt, dass engmaschigere und häufigere ärztliche Untersuchungen während der Schwangerschaft nicht zu einem besseren Ergebnis führen. Ein Mehr an Untersuchungen bedeutet nicht automatisch auch eine bessere Gesundheit für Mutter und Kind.
Die Reduktion von Anzahl und Umfang der ärztlichen Untersuchungen hätte keine negativen Auswirkungen auf die mütterliche und kindliche Gesundheit und würde gleichzeitig für die Gesellschaft viel kostengünstiger ausfallen. Dabei geht es nicht darum, jegliche medizinische Untersuchung und jedes Angebot, das die Medizin den Schwangeren macht, zu verdammen.
Es muss den werdenden Müttern jedoch klar aufgezeigt werden, dass es auch Alternativen gibt. Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel weg von der ärztlich geleiteten medizinischen Schwangerenvorsorge hin zu einer frauenzentrierten Hebammenbetreuung in der Schwangerschaft.
Unnötige, kostspielige und oftmals angstmachende Maßnahmen
Durch die Stärkung der Hebammen und die Anerkennung ihrer Bedeutung für Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett wäre es möglich, den schwangeren Frauen eine Betreuung zukommen zu lassen, die sie in ihren Stärken und Fähigkeiten unterstützt, ohne den Fokus auf pathologische Ereignisse zu legen.
Frauen könnten von ihren Hebammen bestmöglich unterstützt und auf eine natürliche Geburt vorbereitet werden. Im Bedarfsfall kann die Hebamme die schwangere Frau an einen Arzt oder eine Ärztin beziehungsweise in ein Krankenhaus verweisen, um auffällige Befunde abklären zu lassen. So würden nur die Schwangeren in ärztliche Betreuung wechseln, die diese auch tatsächlich notwendig haben.
Medizinische Unterstützung ist in manchen Fällen durchaus sinnvoll und kann hin und wieder lebensnotwendig sein. In allen anderen Fällen handelt es sich aber um unnötige, kostspielige und oftmals angstmachende Maßnahmen, die den werdenden Müttern ihre Eigenständigkeit absprechen und sie zu einem normierbaren Objekt degradieren, das dann entsprechend behandelt und verwaltet werden kann.
Was passt für mich und mein Kind?
Niemand möchte die Medizin abschaffen. Niemand spricht den Ärzten und Ärztinnen ihr Wissen und ihr Können ab. Es sollte allerdings nur da eingesetzt werden, wo es auch tatsächlich notwendig ist.
Eine gesunde Schwangere wird auch ganz gut ohne die Überwachung ihres Bauches in der ärztlichen Schwangerenvorsorge durch die Schwangerschaft kommen. Eigenständiges Denken und kritisches Hinterfragen sind jedoch notwendig, um individuelle Entscheidungen treffen zu können. Was passt für mich und mein Kind? Was ist in der gegebenen Situation notwendig? Worauf kann ich verzichten? Was brauche ich?
Obwohl die Antworten auf diese Fragen von Frau zu Frau unterschiedlich ausfallen werden, sollten die gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen so gestaltet sein, dass individueller Handlungsspielraum bleibt.
Über die Autorin
Doris Moser ist zweifache Mama, Kultur- und Sozialanthropologin / Medizinanthropologin und Autorin. In ihrer Arbeit setzt sie sich für die Aufklärung und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen ein.
Mehr zum Thema findest du in ihrem Buch, das im April 2016 im Verlag edition riedenburg erschienen ist:
Der überwachte Bauch. Wie viel ärztliche Schwangerenvorsorge brauche ich wirklich?
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