Dass ein Kind eine Lese-Rechtschreib-Schwäche hat, wird oft erst spät erkannt – Kind und Eltern leiden bis dahin gleichermaßen unter der Situation. Eine besondere Förderung ist wichtig, damit die Kinder im Schulsystem nicht untergehen. Eine App soll nun dabei helfen, Legasthenie früher zu erkennen.
Rund fünf bis zwölf Prozent der Schüler in Deutschland haben eine Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS), schätzt Maria Rauschenberger. Die Wissenschaftlerin aus Oldenburg arbeitet derzeit für ihre Promotion an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona und forscht im Bereich der Diagnose von Legasthenie.
Die Lese-Rechtschreib-Schwäche ist eine veränderte visuelle und/oder auditive Wahrnehmung und führt zu Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. Dabei liegt jedoch keine verminderte Intelligenz vor. Das Problem: „Oft werden die Schwierigkeiten der Kinder erst aufgrund ihrer sehr schlechten schulischen Leistungen in der vierten Klasse oder später entdeckt“, erklärt Maria Rauschenberger. „Bis dahin sind der Leidensdruck und die Frustration bei Kindern und Eltern bereits sehr hoch. Das Kind wird beschuldigt, nicht genug zu lernen, und die Eltern werden beschuldigt, nicht genug zu helfen.“
Selbst bei ähnlichen sozialen Strukturen, Intelligenzgrad und Trainingsaufwand haben Vergleichsstudien gezeigt, dass Kinder mit einer LRS sehr viel länger für gute Schulleistungen benötigen und eine höhere Rate der Arbeitslosigkeit aufweisen als die Kontrollgruppe ohne LRS. Deshalb sei es besonders wichtig, Kinder mit einer LRS frühzeitig zu erkennen, um ihnen somit mehr Zeit zum Lernen zu ermöglichen und Frustration beim Lernen zu verhindern, so Maria Rauschenberger. „Mit einem guten Selbstbewusstsein können sich außerdem die Stärken des Kindes besser entwickeln, sodass ein Ausgleich zum mühsamen Erlernen der Schriftsprache gebildet und Berufschancen entstehen können.“
Dytective: In fünfzehn Minuten zur Diagnose
Um eine Diagnose nicht erst im Laufe der Schulbahn zu ermöglichen, sondern sobald ein Kind das Alphabet kennt, haben Forscher die App Dytective entwickelt. Diese soll mit einem rund fünfzehnminütigen Test eine Einschätzung der Lese-Rechtschreib-Fähigkeiten des Kindes ermöglichen. Bislang gibt es die App auf Spanisch und Englisch – erste Tests haben bereits eine Treffergenauigkeit bei der Diagnose von 83 Prozent gezeigt. Maria Rauschenberger arbeitet nun daran, eine deutsche Version zu entwickeln.
Für die Übertragung ins Deutsche eignet sich nicht allein eine Übersetzung der Aufgaben aus der englischen und spanischen Version der App. In den verschiedenen Sprachen zeigt die Lese-Rechtschreib-Schwäche unterschiedliche Ausprägungen. Deshalb sucht Maria Rauschenberger nun Teilnehmer, die an ihrer Studie zur Entwicklung der deutschen Version teilnehmen möchten – Kinder mit und ohne Lese-Rechtschreib-Schwäche können mitmachen, das ideale Alter liegt zwischen sieben und elf Jahren.
Stärken finden und ebenfalls fördern
Mitmachen ist ganz einfach: In einem rund fünfzehnminütigen Online-Test werden die Kinder mit kleinen Aufgaben konfrontiert. Sie müssen anhand von Lauten die entprechenden Buchstaben zuordnen, Wörter erkennen und markieren sowie Fehler in Wörtern und Sätzen finden. Um den Test zu starten, benötigt man einen Code – Infos dazu gibt es auf der Website von Maria Rauschenberger.
Eltern, die eine Lese-Rechtschreib-Schwäche bei ihrem Kind vermuten, rät Maria Rauschenberger, zum Kinderarzt zu gehen oder sich direkt beim Bundesverband nach der nächsten Anlaufstelle zu erkundigen. „Mit der Diagnose ist dann schon ein guter Start für das Erlernen der Schriftsprache geschafft“, sagt die Wissenschaftlerin und macht Eltern Mut: „Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche haben auch Stärken – und die gilt es zu finden und ebenfalls zu fördern. Es ist nicht nötig, diese Kinder alleine über ihre Lese- und Rechtschreibfähigkeiten zu definieren und es gibt viele Möglichkeiten, nach der Schule Tools zu nutzen und Methoden zu entwickeln, um die Rechtschreibung zu verbesserern.“
Bücher: Lese-Rechtschreib-Schwäche
Ratgeber Legasthenie
Dieser Ratgeber bietet einen sehr guten Überblick über die Lese-Rechtschreib-Schwäche und ist der optimale Einstieg für Eltern, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Das Buch geht auf mögliche Ursachen ein, zeigt Diagnoseverfahren auf und erläutert, welche Therapiemöglichkeiten es gibt.
Autor: Gerd Schulte-Körne
Verlag: Knaur TB
Die Verschiedenheit der Köpfe
Eindrucksvoll erzählt eine Mutter die Geschichte ihres Lebens mit einem Kind mit Lese-Rechtschreib-Schwäche. Dabei zeigt sie, wie schwer sich unsere Gesellschaft mit dem Umgang mit diesen Kindern tut – vom privaten Umfeld, über Pädagogen bis hin zu Behörden.
Autorin: Enid Heynel
Verlag: Susanne Schüßler-Runkel
Dr. Alexander Plitsch ist Co-Gründer von mamour. Im Job ist er gern gut vorbereitet – vor der Geburt seiner ersten Tochter war es genauso. Gelesen hat er während der Schwangerschaft mindestens so viel wie seine Frau. Er findet, Eltern sollten sich nicht verrückt machen bei den Themen rund um Babys und Kinder – ein paar gute Bücher sind dabei auf jeden Fall gute Begleiter.
“Beim Umgang mit Legasthenie wird einmal mehr deutlich, wie weit wir in unserem Schulsystem von wirklich individuellem Lernen und individueller Förderung entfernt sind. ”
Dr. Alexander Plitsch