In ihrem neuen Buch „Mein kompetentes Baby“ zeigt Nora Imlau, wie sehr wir unsere Babys oft unterschätzen und macht Eltern Mut, mehr auf ihr Gespür und weniger auf Meinungen von außen zu hören. Im Interview mit mamour erzählt die Autorin außerdem, weshalb ihre Tochter nicht mehr ohne Feenflügel aus dem Haus gehen kann.
Nora Imlaus Buch „Mein kompetentes Baby: Wie Kinder zeigen, was sie brauchen“ ist aktuell im Kösel Verlag erschienen. Wir haben mit der Autorin über das Buch gesprochen:
mamour: In deinem neuen Buch zeigst du uns Schritt für Schritt, was ein Baby alles kann und dass wir als Eltern eigentlich nur auf seine angeborenen Kompetenzen vertrauen müssen. Haben wir verlernt, unsere Babys zu verstehen?
Nora Imlau: Wir als individuelle Eltern haben das glaube ich nicht verlernt, wir sind immer noch sehr gut darin, zu erkennen, was unsere Babys uns gerade zeigen. Aber wir als Gesellschaft haben verlernt, dass wir die Signale unserer Babys tatsächlich auch als Richtschnur für unseren Familienalltag hernehmen dürfen – und zwar ohne Angst, das Kleine dadurch zu verwöhnen oder uns einen richtigen Haustyrannen heranzuziehen.
Das ist nämlich das Dilemma, in dem viele Eltern heute stecken: Sie sehen schon, was ihr Baby will, zum Beispiel nicht alleine schlafen – aber sie fürchten sich davor, diesem Signal einfach zu folgen und machen sich deshalb das Leben oft viel schwerer als es sein müsste, weil sie letztlich gegen die Kompetenzen ihrer Babys anarbeiten, anstatt sie sich im Familienalltag zunutze zu machen.
Aus diesem Grund finde ich es so wichtig, dass wir alle einen Schritt zurücktreten und sozusagen eine Bestandsaufnahme machen: Was können Babys wirklich? Und was können sie definitiv nicht? Und dann stellen wir ganz schnell fest: Babys können sehr gut einschätzen, wie viel Schlaf, wie viel Milch und wie viel Nähe sie benötigen. Sie können uns aber nicht manipulieren, ärgern oder bewusst unsere Gutmütigkeit ausnutzen.
Ist uns das klar, müssen wir keine Angst mehr haben, auf unsere Intuition zu hören und unseren Babys einfach das zu geben, was sie von uns brauchen.
Vieles was du beschreibst, z.B. Stillen nach Bedarf oder das Schlafen im Familienbett, dürfte einige junge Eltern in der Art und Weise bestätigen, wie sie ohnehin als Familie leben. War das deine Motivation für das Buch, diesen Eltern Mut zu machen und ihnen zu zeigen, dass sie nicht nur „im Trend“ liegen, sondern auch der Natur der Babys gerecht werden?
Meine Motivation beim Schreiben war, meinen Leserinnen und Lesern den Rücken zu stärken, aber auch ihren Horizont zu erweitern. Dass Babys selbst spüren, was und wie viel sie essen sollten, ist ja gut und schön – aber funktioniert dieses intuitive Wissen auch am Currywurststand? Und wenn unsere Babys angeblich zum Stillen geboren sind – warum gibt es dann trotzdem so viele Stillprobleme, bei denen das Kleine offensichtlich nicht richtig trinken will oder kann?
Da habe ich bei der Recherche für dieses Buch auch selbst noch viel dazu gelernt: dass Babys etwa bereits mit einem guten halben Jahr unsere moralischen Motive bewerten und sich intuitiv zu altruistisch handelnden Menschen eher hingezogen fühlen als zu egoistischen, hat mich selbst total fasziniert, mir aber noch mal verdeutlicht, was diese Haustyrannen-Unterstellung für eine miese Masche ist.
Unsere Babys sind so sozial kompetent – und wir unterstellen ihnen trotzdem ständig niedere Motive!
„Babys kann man nicht verwöhnen“
Hast du das Buch für Eltern oder nicht auch ein bisschen für immerzu besserwissende Großeltern und Schwiegermütter geschrieben?
Klar hatte ich beim Schreiben immer im Hinterkopf, dass so ein Buch ja auch einen Gesprächsanlass zwischen den Generationen darstellen kann. Schließlich ist es ja kein Geheimnis, dass unsere heutige Elterngeneration in ihrer eigenen Babyzeit nur als sehr wenig kompetent angesehen wurde. Da kann es auch für Großeltern hilfreich sein, einmal schwarz auf weiß zu lesen, wie kompetent unsere Babys wirklich sind – und dadurch zum Umdenken angeregt zu werden.
Hilfreich dabei ist sicher, dass in meinem Buch kein Hauch von Vorwurf mitschwingt gegenüber früheren Generationen, die ja letztlich auch einfach von ihrer jeweiligen Zeit und Kultur geprägt waren. Stattdessen erkläre ich ganz eingängig und sachlich, was wir heute über die Fähigkeiten unserer Kleinsten wissen. Auf diese Weise können auch skeptische Schwiegermütter das neue Wissen annehmen, ohne sich angegriffen oder in die Ecke gedrängt zu fühlen.
Mittlerweile habe ich übrigens bereits von einigen Elternpaaren die Rückmeldung erhalten, dass sie einzelne Passagen aus meinem Buch regelrecht auswendig gelernt haben, um für kritische Nachfragen aus der Familie gewappnet zu sein. Etwa das Kapitel zum Thema Schreienlassen, in dem ich ganz sachlich darlege, warum so ein Umgang mit Babys keinerlei Vorteile hat, sondern einfach unlogisch und grausam ist.
Was empfiehlst du jungen Eltern, die immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert werden, ihr Baby zu verwöhnen und dadurch zu verziehen (außer natürlich, dein Buch zu lesen)?
„Babys kann man nicht verwöhnen.“ Diesen Satz hat eine sehr progressive Freiburger Kinderärztin meinen eigenen Eltern schon vor über dreißig Jahren mit auf den Weg gegeben. Mit Inbrunst vorgetragen ist er ein hervorragendes Mittel gegen Unkenrufe. Und wer noch weiterführende Argumente sucht, warum es tatsächlich unmöglich ist Menschenbabys zu verziehen, findet diese in meinem Buch.
„Die Mühlen der Evolution mahlen langsam“
Ähnlich wie Nicola Schmidt in ihrem Babyratgeber „Artgerecht“ beziehst du dich auf die Natur und auf angeborene Fähigkeiten des Menschen sowie auf die frühe Menschheitsgeschichte. So schreibst du, dass Babys nicht gern alleine einschlafen, weil sie früher Gefahr liefen, „als Hyänen- oder Säbelzahntigerfutter zu enden“. Hat denn die Evolution nicht in jüngeren Jahren dafür gesorgt, dass sich solche Verhaltensweisen heutigen Bedingungen anpassen?
Wie sagt mein Kollege und Freund Herbert Renz-Polster immer so schön: Die Mühlen der Evolution mahlen langsam – und zehntausend Jahre sind in ihrer Zeitrechnung nicht mehr als ein Wimpernschlag. Konkret heißt das: Bis sich unsere Babys an videoüberwachte Gitterbettchen gewöhnt haben, müssen noch viele tausend Jahre vergehen. Und dann sind unsere Lebens- und Schlafbedingungen vermutlich längst schon wieder ganz andere …
Du brichst im Buch eine Lanze für das Baby-led Weaning – also selbstbestimmtes Mitessen statt Gefüttert werden. Hast du diese Form der Beikost selbst ausprobiert? Wie sind deine Erfahrungen?
Unsere älteste Tochter hat diesen selbstbestimmten Beikoststart eingefordert, als wir weder den Namen Baby-led Weaning noch das genaue Vorgehen dabei kannten. Wir merkten einfach nur: Mit dem Breilöffel müssen wir diesem Baby nicht kommen, aber Selberessen findet es toll. Also haben wir – anfangs durchaus mit etwas schlechtem Gewissen, weil man das doch nicht soll – unserem Mädchen Nudeln und Brokkoliröschen, gedünstete Karotten und Apfelschnitze hingestellt. Und gestaunt, mit wie viel Geschick und Freude unser Baby dadurch essen lernte.
Danach las ich mich dann in das Thema selbstbestimmte Beikost ein, und seitdem gab es für uns nichts anderes mehr. Gerade fängt mein drittes Baby an, mit uns am Familientisch zu essen, und raspelt genüsslich mit seinem einen kleinen Zahn an Birnenschnitzen und Kohlrabischeiben herum – und es ist einfach toll, wieder einmal zu erleben, wie entspannt und fröhlich der Einstieg in die feste Kost ablaufen kann.
„Hauptsache, ihr könnt alle Kraft tanken“
Zum Dauerbrenner-Thema unter gestressten Eltern, dem Schlaf des Babys, hast du ja schon ein Buch geschrieben. Auch in „Mein kompetentes Baby“ widmest du dem Schlaf ein Kapitel. Was ist deine wichtigste Botschaft, was möchtest du den verzweifelten Eltern am liebsten zurufen?
Stresst euch nicht mit komplizierten Schlaf-Regeln, die euch allen das Leben nur schwerer machen! Sondern nutzt mit gutem Gewissen alles, was für euch die Nächte besser macht! Ob ihr alle miteinander im großen Bett schlaft oder euch eine Matratze ins Kinderzimmer legt, ob ihr eure Babys in den Schlaf stillt oder tragt oder schuckelt oder auch eine Stillpause in der Nacht einführt, um mal wieder länger am Stück schlafen zu können: Hauptsache, ihr könnt alle Kraft tanken für den nächsten Tag, ohne dass einer dafür alleine weinen muss!
Was liest du eigentlich, wenn du mal die Nase voll hast von all den Schwangerschafts- und Eltern-Themen?
Ich bin eine begeisterte Leseratte und habe an ganz unterschiedlichen Büchern Freude: Krimis, Romane, Biografien spannender Menschen … aber selbst wenn ich lese, um von der Arbeit abschalten, stolpere ich selbst in ganz fachfremden Büchern immer wieder über Themen, die dann auch wieder Eingang in mein Arbeitsleben finden. So habe ich beispielsweise gerade den tollen Roman „Sing You Home“ von Jodie Picoult gelesen, in dem das Thema gleichgeschlechtliche Elternschaft eine große Rolle spielt – und sofort daran gedacht, dass ich darüber eigentlich auch mal einen Artikel schreiben müsste …
Erinnerst du dich an ein Lieblingsbuch aus Kindertagen? Gibt es einen Helden deiner Kindheit aus einem Buch?
Ich hatte als Kind ganz viele Lieblingsbücher: die Janosch-Geschichten von Tiger und Bär, nahezu alles von Astrid Lindgren, die Sams-Bücher, die Werke von Erich Kästner. Mein ganz besonderer Held war „Der kleine Vampir“ in der gleichnamigen Buchreihe von Angela Sommer-Bodenburg, ein liebenswert unperfekter Untoter, der mit seinem Freund Anton – der dank geliehenem Vampirumhang und ordentlich Flugpulver selbst schweben kann – spannende nächtliche Ausflüge macht.
Meine Leidenschaft für diese Geschichte ging so weit, dass ich mein Bett mit viel schwarzem Papier in einen Sarg verwandelte, um wie Rüdiger von Schlotterstein zu schlafen. Weshalb ich viel Verständnis habe dafür, dass meine Tochter momentan ohne Feenflügel nicht aus dem Haus gehen kann, weil sie doch gerade im Elfenreich lebt. Da ertrage ich auch gerne schräge Blicke in der Straßenbahn: Wir fantastischen Flugwesen müssen schließlich zusammen halten!
Hier gibt es „Mein kompetentes Baby“ in unserem Shop. Eine Rezension veröffentlichen wir in Kürze.
Quellennachweis Titelbild: FamVeld (shutterstock.com)